Ratgeber Notebook & Computer Ein Stück Science-Fiction: Wenn Menschen und Technik verschmelzen
Für manche ist es noch Science-Fiction, für andere längst Realität. Biohacker streben danach, ihren Alltag durch Mikrotechnologie in ihrem Körper zu erleichtern und langfristig sogar ihre Körperfunktionen zu optimieren. Christian Steiner ist einer der Early Adopter. Ein kleiner Chip in seiner Hand hat ihm vor zwei Jahren die Tür in die Zukunft geöffnet – und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Moment, in dem Christian Steiner sein Smartphone vor seine rechte Hand hält, hat immer wieder etwas Magisches: Binnen des Bruchteils einer Sekunde leuchtet es hell auf und zeigt den Eingang neuer Daten an. Diesmal hat der 32-Jährige probeweise seine virtuelle Visitenkarte an sein Handy gesendet. Der Clou: Die Kontaktdaten hat er sich direkt aus den Fingern gesogen – besser gesagt aus der Hand. Denn die Informationen sind auf einem mit Glas ummantelten Implantat gespeichert, das dicht unter Steiners Hautoberfläche steckt. Es handelt sich um einen RFID-Chip (radio-frequency-identification), der beispielsweise auch in deutschen Reisepässen verwendet wird. Mit ihm lassen sich per Funksignal Türen öffnen, Smartphones entsperren oder eben auch Handydaten per Zauberhand übermitteln.
Neugier auf den Selbsttest
Letzteres nutzt auch der Mitbegründer eines Virtual-Reality-Start-ups mit Vorliebe auf Messen oder anderen Netzwerker-Events, seit er sich den Chip vor zwei Jahren spontan bei der Cebit in Hannover hat einsetzen lassen. Darauf angesprochen, lächelt der Mann aus Königswinter nur verschmitzt und gibt zu: „Ich war schon immer sehr technikbegeistert. Ich muss so was einfach ausprobieren, es geht quasi nicht anders.“ Schulterzuckend fügt er hinzu: „Ich war neugierig auf den Selbstversuch und wollte mir selbst ein Bild vom Biohacking machen.“
Etwa 50.000 Tagger oder Chipper, wie die Biohacker auch genannt werden, gibt es weltweit bereits, rund 4000 davon allein in Deutschland. Sie alle glauben daran, ihr Leben durch Verschmelzung von Körper und neuester Technologie optimieren zu können. Um diesem Traum bereits heute ein Stückchen näher zu kommen, lassen sie sich die reiskorngroßen und 888 Byte Speicherplatz fassenden Chips auf Technikmessen und in Piercingstudios unter die Haut schießen – besonders Harte machen dies auch in Eigenregie zu Hause.
Für Angst um den Datenschutz ist kein Platz
Bedenken wegen datenschutzrechtlicher Risiken? Haben nur wenige. Schließlich entkräften Anbieter wie Digiwell Expertenmeinungen, die kleinen Chips könnten an öffentlichen Plätzen von Lesegeräten angezapft und deren Besitzer somit ausspioniert werden, regelmäßig. Ihr Standpunkt: „Datentransfers sind lediglich bei direktem Körperkontakt beziehungsweise in einem kleinen Millimeterradius möglich“, erklärt Steiner. Dies mache Datenklau beinahe unmöglich.
Darauf angesprochen, dass viele Biohacker im Gegensatz zu ihm nicht selten darauf verzichten, sich vor Einsetzen des Chips umfassend zu informieren, zuckt der VR-Experte nur mit den Schultern: „Lesen Sie vor der Einnahme von Medikamenten etwa die Gebrauchsanweisung?“ So was habe in einer Szene, in der man unkonventionelle Dinge ausprobieren möchte, um zu testen, ob diese Erfolg haben werden, eben keinen Platz.
Im Notfall ist es nur ein kleiner Schnitt
Während er das sagt, streicht er mit der linken Hand über jenen Hautabschnitt zwischen Daumen und Zeigefinger, wo sich seit nunmehr 24 Monaten der kleine Fremdkörper befindet. „Aber ich wusste immerhin, dass die gesundheitlichen Risiken überschaubar sind“, räumt Steiner ein, „vergleichbar mit denen eines Piercings.“ Ähnlich fühle sich auch der kurze Schmerz bei der Injektion an – „obwohl ich natürlich voller Adrenalin war“.
Nach kurzer Zeit waren die Wunden ohnehin geleckt. Seitdem stört ihn der kleine Chip nicht einmal beim Sporttreiben. Und falls doch? „Dann hätte ein Arzt diesen binnen Sekunden mit einem kleinen Schnitt entfernen können.“ Dies gelte laut dem 32-Jährigen natürlich auch, falls Tagger den Chip aus anderen Gründen wieder loswerden wollten – etwa wegen der bisher eingeschränkten Nutzbarkeit.
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Nutzen des RFID-Chips bisher gering
Denn noch fällt das Fazit über die rund achtzig Euro teure Mikrotechnologie oftmals verhalten aus. Ähnlich ernüchtert ist auch Steiner, der kopfschüttelnd resümiert: „Kümmert man sich nicht wenigstens zu Hause um die notwendigen Geräte und Installationen, die mit dem Chip kooperieren, hat man nichts weiter als eine lustige Story unter der Haut und findet außerhalb der Wohnung nie wirklich Anwendungsmöglichkeiten.“
Sein Paradebeispiel? Die angepriesene Türöffnungsfunktion. „Dafür brauche ich erst mal eine Tür mit Stromanschluss“, die Aufrüstung sei aber teuer. Und selbst die Smartphone-Entsperrung per Funksignal sei umständlicher als gedacht und nehme dermaßen viel Zeit in Anspruch, dass der Fingerabdrucksensor die deutlich schnellere Alternative darstelle.
Noch ärgerlicher ist für den Technikfreak aber die Tatsache, dass sich die Daten seiner Bank- und Kreditkarten nicht auf dem Implantat speichern lassen – so hätte er seine Einkäufe kartenlos an den ohnehin vorhandenen NFC-Kartenlesern zahlen können. Doch: „Dafür müsste ich illegal meine eigene Kreditkarte hacken, die Daten illegal auf meinen Chip übertragen und hätte dann das Problem, dass ich im Laden trotzdem zur Sicherheit meine echte Kreditkarte dabeihaben müsste. Das macht keinen Sinn.“
Respekt im Umfeld, schiefe Blicke im Supermarkt
Geht es für den Biohacker also schon vor Ablauf der acht Jahre haltbaren Batterie zum Doktor? „Darüber habe ich schon nachgedacht, aber ich bin von der Sorte Mensch, die denkt: ,Ausgerechnet dann, wenn der Chip draußen ist, gibt es eine Anwendung, die ich ausprobieren möchte.‘“ Bei dieser Vorstellung blutet das Nerdherz dann doch zu sehr.
Zudem habe sich selbst seine Ehefrau mittlerweile mit dem Chip abgefunden. Die Mundwinkel des Blondschopfs gehen ruckartig nach oben, bevor er zugibt: „Eigentlich ist meine Frau nämlich das komplette Gegenteil von mir: Kein Smartphone, kein Facebook, kein Biohacking. Aber der Großteil fand es cool, einen Cyborg in der Familie zu haben – auch wenn deutlich mehr dazugehört, als einen Chip unter der Haut zu tragen.“
Dass allerdings nicht alle dem technisch-menschlichen Fortschritt so aufgeschlossen gegenüberstehen, ist dem 32-Jährigen auch klar: „Würde ich morgen an der Kasse bei Aldi mit meinem Chip zahlen, würden die Menschen dort sicher erst mal komisch gucken.“ Ob Gespräche darüber dann positiv verlaufen oder Kunden lieber die Polizei rufen würden, sei schwer einzuschätzen.
In Zukunft könnten Chips Leben retten
Trotz des holprigen Starts glaubt Technikfan Steiner fest an die Zukunft der kleinen Chips. „Wenn sich der Funktionsumfang signifikant erweitert, dann sind sie bald so etwas Selbstverständliches wie Fitnesstracker, die biometrische Daten wie Herzfrequenz, Blutzucker oder Sauerstoffgehalt messen.“ Mit einer „chipped society“ sei zeitnah aber nicht zu rechnen – auch wenn die kleinen Implantate im Notfall sogar Leben retten könnten: „Stellen Sie sich einen Chip vor, auf dem all ihre Gesundheitsdaten gespeichert sind. Bei einem Unfall, durch den Sie nicht ansprechbar sind, kann das Rettungsteam diese einfach auslesen und gezielt helfen.“
Steiners Wunschliste ist aber noch länger: Auch Augenimplantate, die den Nutzer in der Nacht sehen lassen, oder eine Vernetzung mit dem Gehirn, die „Sie dank Supercomputer superschnell und präzise denken lässt“, stehen bei dem Early Adopter, der nun erneut verlegen mit den Schultern zuckt, hoch im Kurs. „Ich weiß: Hardcore-nerdig! Aber genau diesen Zielen hat sich die Biohacking-Szene nun mal verschrieben.“