Ratgeber Unterhaltung & Freizeit Places-Festival: Wie Virtual Reality das echte Leben beeinflusst
Virtual Reality gilt vielen als Spielerei für Gamer. Dabei hält VR Einzug in praktisch alle Lebensbereiche – vom Hausbau über den Operationssaal bis hin zur Flüchtlingshilfe. In Gelsenkirchen kamen jetzt zahlreiche Vertreter der Branche zum Places-Festival zusammen, um die Möglichkeiten von VR aufzuzeigen.
Schüsse hallen aus dem Backsteinbau Bochumer Straße 102. Ückendorf gilt in der Stadt Gelsenkirchen als Problemviertel. Aber das hier ist keine echte Schießerei, das merkt man spätestens bei alldem Gelächter, das aus den offenen Fenstern nach außen dringt. Drinnen steht gerade Frau Runge, 76, und schießt auf Weltraumflieger. „Getroffen!“, ruft sie. Sie beherrscht das Spiel „Space Pirat“ offensichtlich.
Eigentlich heißt der Spieleort VRoom. Doch an diesem Wochenende im April ist das ganze Viertel Schauplatz für das Places-Festival, alles dreht sich um Virtual Reality. Aus dem VRoom haben die Macher ein VR-Haus gemacht, und auch die leer stehenden Etagen darüber als Spieleort umgenutzt. Geht man die Treppe mit dem Behelfsgeländer aus Bauholz hinauf in den ersten Stock, sieht man abgepellte Tapeten, blätternde Farbe und eine Deckenvertäfelung aus Holz, die schon lange nicht mehr gestrichen wurde. „Das sehe ich gar nicht“, sagt Sven Orde und muss lachen, denn der Scherz kam eher zufällig. Den Besucher stört das Ambiente nicht, vor allem, weil er die riesige VR-Brille trägt. Wie immer bei diesen Spielen sieht das wunderbar lustig aus, wenn jemand mit gebannt geöffneten Mund auf ein altes Stück Tapete starrt und ruft: „Verrückt!“
Treffpunkt der Kreativwirtschaft
Das Festival ist umsonst, offen für alle und soll so möglichst viele Menschen ansprechen. „Wir wollten ein breites Programm für diverse Zielgruppen bieten – VR-Experten und Laien, Macher und Nutzer“, sagt Festivalleiter Matthias Krentzek. So entstehe ein Festivalcharakter an einem Ort für Begegnung, Austausch und Erlebnis. Krentzek ist Mitbegründer des „c/o – raum für kooperation“, einer Mischung aus Coworking-Space und Treffpunkt der Kreativwirtschaft in Gelsenkirchen.
Die Veranstalter haben das Event bewusst nicht Messe genannt. Messe, das klingt ein bisschen antiquiert. Also lehnt man sich in Gelsenkirchen eher an eine moderne Festivalaufmachung an. Denn die meisten Musikfestivals bieten heute schließlich längst nicht mehr nur Musik an, sondern auch Vorträge, Theaterworkshops, Yogakurse und andere Angebote zur Horizonterweiterung.
Und so ist das Festival auch nicht auf einem sterilen Mehrzweckgelände untergebracht, sondern entlang der Bochumer Straße. Hier fährt die Straßenbahn in die Nachbarstadt Bochum, hier sieht der Spaziergänger: Ja, diese Stadt hat schon bessere Zeiten gesehen. Putz fällt von den Fassaden, einige Häuser sind bereits abgerissen. Das Places zeigt hier also nicht nur den Stand von Virtual Reality, es zeigt mit seiner Zwischennutzung von leer stehenden oder kaum genutzten Gebäuden, wie man einen ganzen Straßenzug mit kreativem Leben füllen kann. Denn der VRoom, in dem Frau Runge noch geschossen hat, ist der einzige Laden, der auch abseits vom Places hier öffnet.
Die VR-Technik hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, gleichzeitig ist Hardware erschwinglich geworden. VR gilt als eine der Schlüsseltechniken, die das frühe 21. Jahrhundert entscheidend mitbestimmen werden. Die Einsatzmöglichkeiten sind immens. War die Technik anfangs noch bei vielen Betrachtern als Spielerei für Anhänger der Gaming-Szene verschrien, zeigen sich heute immer mehr Anwendungsmöglichkeiten – in der Medizin, in der Industrie und vielen weiteren Bereichen ist sie längst angekommen.
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Virtual Reality: Ein Spiel? Fehlanzeige!
Auch beim Places-Festival sind die Gamer in der Minderheit. Stattdessen: Architekten, Städteplaner, Ärzte, Marketingstrategen. Das Krefelder Jungunternehmen Weltenweber hat eine Anwendung für die Demenztherapie entwickelt und für die Probeanwendung eine Straßenkreuzung aus Krefeld aus der Mitte des 20. Jahrhunderts nachgebaut, in der die Patienten sich dann virtuell bewegen und währenddessen mit Ärzten und Therapeuten darüber sprechen können. Das Skip-Institut der Hochschule Fresenius stellt in Gelsenkirchen das VR-Sprach und Kulturlabor für Geflüchtete vor – hier können Menschen Alltagssituationen in Deutschland in einem geschützten virtuellen Raum erlernen und Selbstvertrauen für den Alltag aufbauen.
Gelsenkirchen ist ein passender Standort für ein solches Festival, nicht zuletzt, weil NRW-Digitalisierungsminister Andreas Pinkwart Gelsenkirchen Anfang des Jahres zur „digitalen Modellstadt“ erklärt hat. Breitband und 5G sollen hier besonders schnell ausgebaut werden. Das Ruhrgebiet steht wie keine andere Region in Deutschland für den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Das zeigt etwa der Wissenschaftspark. Der Glasbau ist Wohnsitz für allerlei kreative Unternehmen, dort, wo früher die Gelsenkirchener Gussstahl- und Eisenwerke Munscheid & Co zu Hause waren. Auch beim Places-Festival ist es eingebunden, denn hier basteln Entwickler und Kreative in 24 Stunden beim Hackathon, eine Wortschöpfung aus Hack und Marathon, neue VR-Anwendungen.
Virtual Reality wird den Alltag verändern
Zurück auf der Bochumer Straße. Im Ücky kommen eigentlich Jugendliche zusammen, denn das Ücky ist das Jugendzentrum im Stadtteil Ückendorf. Doch während des Places-Festival hat hier auch der Zoo Gelsenkirchen eine Außenstelle. Die beiden Mitarbeiterinnen des Tierparks haben orangefarbene Pappwürfel vor sich stehen. In die steckt man ein Smartphone, nachdem man zuvor die kostenlose App heruntergeladen hat – und schon hat man einen VR-Guckkasten. Die Videos sind nicht ganz so beeindruckend wie bei den Spielefans nebenan, aber niedlich ist es schon, wie die Bande der Erdmännchen da plötzlich so um die eigenen Beine herumwuselt. Malik und Finn, beide neun Jahre alt und aus der Nachbarschaft, sind begeistert. „Die Karten für den Zoo sind ja ziemlich teuer, das können wir uns nicht oft leisten“, sagt Finns Vater Holger Bohne. Und weil die Kinder ja ohnehin nur vor ihren Smartphones hockten, sei das mit den Tieren doch mal eine nette Abwechslung.
Virtual Reality wird in einigen Jahren aus den meisten Lebens- und Arbeitsbereichen kaum noch wegzudenken sein, in Medizin und Industrie etwa, aber auch zu Hause. Vielleicht wird es auch zum neuen Kinostandard. Wie packend ein solches Kinoerlebnis sein kann, zeigt etwa der Film „T)raumzwang“, einer der VR-Filme, die beim Places-Festival im ehemaligen Theater an der Bochumer Straße laufen. Die bis zu 25 Besucher werden jeweils mit einer Samsung Gear VR 2 ausgestattet. Wenn man den Protagonisten Oscar durch seinen von Zwängen und Angst vor Kontrollverlust dominierten Alltag begleitet, dann ist das dank VR mit einem Kontrollverlust als Zuschauer verbunden: Man ist im Film, Teil des Films, es ist ein Erlebnis.